Das Sakko im Wandel der Zeit
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Lange galt das Sakko als Grundoberbekleidung in der Herrenmode. Heute wird es immer mehr von legerer Sportbekleidung und Streetwear verdrängt. Ist das Sakko bereits Geschichte? Zumindest hat es Geschichte geschrieben, denn bis heute wird das Kleidungsstück weltweit mit Macht und Wohlstand gleichgesetzt.
1918
Nach dem Ersten Weltkrieg war in der deutschen Herrenmode ein »internationaler Look« angesagt: Die Schnitte mussten elegant und sehr schmal sein. Für die Träger hatte dieser Trend zur Folge, dass sie insbesondere im Schulterbereich kaum Bewegungsfreiheit hatten, denn teilweise wurde das Innere des Sakkos mit Knochenleim geklebt. Die Revers der Sakkos waren etwas breiter und ansteigend, aber nicht sonderlich lang. Das lag auch daran, dass sich der obere der zwei Schließknöpfe sehr weit oben, direkt unter der Brust, befand. Gleichermaßen hoch setzte die Taille an. Von dort aus fiel das Sakko in einen sogenannten Glockenschoß. Es war verhältnismäßig kurz, sodass die damals neumodische Bundfalte der Korkenzieherhosen sichtbar war, das Gesäß blieb jedoch stets bedeckt. Das Sakko selbst wurde meist aus Fischgrat- oder Nadelstreifengewebe gefertigt.
1925
In der Mitte des goldenen Jahrzehnts veränderte sich die Form des Sakkos: Es verlor seine Glockenform und wurde kastenförmiger. Der Look war deutlich sportlicher, denn die Herren sehnten sich nach mehr Flexibilität. Insbesondere in den späten 20er- Jahren arbeitete man mit einer damals neuen Schnitt-Technik und einer größeren Rollweite rund um das Armloch, um dem Träger mehr Bewegung zu ermöglichen: Die Form des Sakkos wurde also nicht mehr nur über die Vorderkante gearbeitet, sondern auch über das Armloch. Gleichzeitig wollte man die Männlichkeit betonen, weshalb die Schulterpartie mit Tafelwatte ausgepolstert wurde. Auch das Revers wurde opulenter. Um diese breite Optik zu verstärken, wurde das weniger taillierte Sakko mit einer Weste kombiniert, die im Ausschnitt gut sichtbar war und sich häufig durch auffällige Muster vom Sakko abhob. Farbenfreude galt als Zeichen von Wohlstand, was auch an den bunten Krawatten und Fliegen dieser Zeit auszumachen war.
1940
Im Krieg mangelte es an allem, auch an Materialien. Alte Kleidungsstücke wurden zerschnitten und wieder neu zusammengesetzt. In der Regel konnten Schneider*innen Stoff e mit einer Länge von drei Metern aus den Lagerbeständen ergattern, um daraus einen Anzug anzufertigen. Weil das nicht sonderlich viel war, wurde meist auf eine Weste verzichtet. Dadurch fi elen jedoch auch zwei bis vier Taschen weg, die von den Herren immer gerne für Taschenuhr, Notizheft oder Lesebrille genutzt wurden. Um dem Verstauungsproblem Abhilfe zu verschaffen, setzte man einfach die uns heute gut bekannte Brusttasche aufs Hemd. Der Schnitt des Sakkos war schmal und tailliert, denn auch das sparte Stoff . Worauf man allerdings nicht verzichten wollte, war die Auspolsterung der Schultern, was eine nahezu waagerechte und kräftige Form ergab.
1950
In den 50er-Jahren wurden die Schnitte der Sakkos wieder weiter. In der Oberschicht wollte man sich nach dem Krieg gut situiert zeigen, wenn auch modisch konservativ und wenig experimentell: Die Herren trugen doppelreihige Sakkos mit zwei Seitenschlitzen. Dieser Trend kam aus England. Gleichwohl durften in der gehobenen Gesellschaft die bunten Krawatten und Einstecktücher nicht fehlen. Jene Herren, die sich modisch eher an den Vereinigten Staaten orientierten, eiferten Frank Sinatra nach: Sie wählten einen schwarzen, grauen oder braunen Dreiteiler und kombinierten einen Fedora. Wer die Sakkos aus diesem Jahrzehnt rekonstruieren möchte, setzt bei der Stoffwahl auf Azores Grey, Sicilian Grey, Aberdeen oder Midnight Blue. Die sportlichere Alternative zum Sakko war in den 50ern die Eisenhower-Jacke, ein leichter Blouson mit zwei Patch-Pockets.
1960
Die Sixties waren von Veränderungen geprägt: Doppelreiher waren Geschichte, John F. Kennedy galt mit seinem kastenförmigen Anzug als modisches Vorbild. Der junge Präsident etablierte lange, einreihige Sakkos, die kaum eine Taille besaßen. Die festen Stoff e dieser Zeit verstärkten diese Wirkung. In der Schulterpartie wirkten die Sakkos gleichermaßen massiv und breit, denn dort wurde mit leichten Polstern gearbeitet, sodass die Schulter leicht abfiel. Der Körper wurde in V-Form dargestellt, das schmale Revers in Kombination mit einer dünnen Krawatte unterstützte diese Wirkung. Anzüge wurden in dieser Zeit auch erschwinglicher, denn mit der voranschreitenden Industrialisierung wurden erstmals keine losen Einlagen mehr verwendet. Das Pikieren wurde durch das Verkleben mit Fixierstoff en ersetzt. Zudem kamen neue Materialien wie Polyester auf.
1975/1980
Es war Schauspieler Richard Gere, der in dem Film American Gigolo einen Anzug von Giorgio Armani trug und damit das Zeitalter des italienischen Looks einläutete. Beim dekonstruierten Sakko verzichtete der Modemacher auf jede Verstärkung an der Vorderseite und Schulter. Stattdessen erhielt das Sakko seine Form ausschließlich durch den Schnitt und durch das Dressieren des Tuchs. Der weite Anzug in Kastenform wurde mit einem kleinen Abstich erarbeitet und hatte ein schmales, tiefsitzendes Revers. Bis heute überzeugt diese Art der Verarbeitung bei sommerlichen Sakkos aus Baumwolle oder Leinen. Dekonstruierte Sakkos in Verbindung mit den leichten Materialien können allerdings auch zu einer absackenden Schulter führen. In den 70er-Jahren wurde das Sakko erstmals losgelöst vom Anzug getragen. Insbesondere die jungen Leute kombinierten die Jacketts mit den übergroßen Vorderteilen zum weißen T-Shirt. In den 80er-Jahren waren es die jungen Frauen, die alte Smoking-Jacken ihrer Väter auftrugen und die Ärmel hochrafft en.
1990/2000
Kurz vor der Jahrtausendwende verlor der Anzug und somit das Sakko an Bedeutung. Insbesondere junge Menschen, die sich von ihrer Elterngeneration abgrenzen wollten, dachten nicht daran, ein Sakko zu tragen. Sie griff en eher zu Punk- Mode aus schwarzem Leder oder dunklem Jeansstoff. Anzüge wurden nur noch zu besonderen Anlässen getragen. Dabei wurde auch hier mittels eines kleinen Abstichs eine Kastenform kreiert. Das große Sakko, das in dieser Zeit in seinem Look von amerikanischen Einflüssen geprägt war, wurde von drei bis vier Schließknöpfen geziert, wobei der oberste fast auf Taillenhöhe saß. Der Zweireiher besaß einen Mittelschlitz im Rücken, um trotz der gewaltigen Stoffmenge in seiner Bewegung nicht zu starr zu sein.
2010
Insbesondere für ihre eigene Hochzeit wählten die Herren in dieser Zeit häufig Schattenstreifen oder Glanzstoff e in Silbergrau oder in klaren Champagnertönen. Als Gegensatz zu den hellen, modernen Farben entschieden sich Bräutigame häufig für eine traditionelle Sakkoform mit zwei Knöpfen, die häufig goldfarben waren. Wer sich im Job besonders modisch und jung zeigen wollte, trug ein extrem kurzes Sakko mit 75 cm Länge und zwei Seitenschlitzen.
2020
Und heute? Heute ist alles erlaubt: Frühere Trends kommen wieder auf und werden neu interpretiert. Insbesondere junge Herren erfreuen sich an historischen Accessoires wie der Fliege oder Hosenträgern, die sie dann mit einem sportlichen Anzug in Slimfit- Passform kombinieren. Die Revers sind schmal, das Sakko selbst ist tailliert und körpernah geschnitten. Die Ärmel fallen vergleichsweise kürzer aus, damit Uhren oder Manschetten sichtbar präsentiert werden können. Moderne Sakkos in Navy oder Grau können losgelöst von der Anzughose getragen und stattdessen mit einer gutsitzenden Jeans oder legeren Chino kombiniert werden. Schneidermeister*innen und Kunden sind in ihrer Kreativität kaum Grenzen gesetzt.
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