Die Herstellung eines Maßhemds
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Wie alle traditionell arbeitenden Hemdenmacher fertigt auch der Wiener Gino Venturini in der eigenen Werkstatt. So hat er die 100-prozentige Kontrolle über das Produkt. Die meisten Anbieter sogenannter Maßhemden arbeiten mit fabrikmäßig arbeitenden Lieferanten zusammen, sie haben nur wenig Einfluss auf die oftmals Hunderte von Kilometern entfernt stattfindende Produktion ihrer Bestellungen. Inwieweit die Hemden in den Werkstätten der Hemdenhandwerker tatsächlich händisch genäht werden, ist eine andere Frage.
Ein Auszug aus dem Buch “Der Gentleman nach Maß: Maßgeschneiderte Herrenkleidung” von Modeexperte und Stilberater Bernhard Roetzel.
Hemdenschneiderei
Das Oberhemd kommt dem Körper näher als jedes andere Kleidungsstück, das einem auf den Leib geschneidert wird. Genau genommen wird eigentlich nur das Maßhemd auf den Leib geschneidert, denn oftmals wird es ohne Unterhemd direkt auf der Haut getragen. Wie dicht es am Körper anliegt, ist dabei unerheblich. Wir spüren den Stoff sehr intensiv. Wenn das Hemd sehr körpernah geschnitten ist, dann umso mehr. Deshalb arbeiten echte Hemdenschneider, also Handwerker, die das Hemd nach einem individuellen Schnittmuster in ihrer eigenen Werkstatt nähen, stets mit Anproben. Allerdings wird für den Passformtest noch nicht der endgültige Stoff zugeschnitten, das Probierhemd wird vielmehr aus einem billigeren Reststoff oder aber aus Leinen genäht.
Maßhemden
Das Gros der sogenannten Maßhemden entstammt Fabriken, es handelt sich also um maßkonfektionierte Hemden. Das ist kein Mangel – allerdings ist der Unterschied zum Hemd vom Wäscheschneider nicht unerheblich. Diesen Unterschied kennenzulernen, ist ein besonderes Vergnügen. Denn der echte Hemdenschneider wird auch die Unregelmäßigkeiten der Figur berücksichtigen, also beispielsweise die weitverbreitete einseitig hängende Schulter oder die geneigte Haltung. Falten, die durch diese figürlichen Abweichungen sonst beim Hemd auftreten, wird er zu eliminieren oder wenigstens zu minimieren versuchen. Dabei muss er – anders als der Anzugschneider – ohne Einlagen und Polster auskommen, also rein „über den Schnitt arbeiten“.
Maßkonfektionierte Hemden
Auch das maßkonfektionierte Hemd kann theoretisch an Besonderheiten des Wuchses adaptiert werden. Viele Verkäufer sehen diese Abweichungen von der Norm aber gar nicht oder wissen nicht, wie sie zu behandeln wären. Auch bei der Kragenform bietet der Handwerker maximale Gestaltungsfreiheit. Beim Probierhemd kann der Kragen zurechtgeschnitten werden oder man darf seine Kontur mit dem Stift neu zeichnen. Maßkonfektionäre bieten zwar oftmals eine sehr große Anzahl von Kragenformen an, die absolut individuelle Ausformung ist aber nicht möglich. Wie viel Handarbeit im Maßhemd steckt, hängt sehr davon ab, wo es genäht wird. In Italien gehören wenigstens handgenähte Knopflöcher zum Mindeststandard, oftmals werden aber auch die Ärmel, die Schulterpassen, der Kragen und die Ärmelschlitze von Hand gestichelt.
In dem Buch HAKA Schnittkonstruktionen Hemden finden Sie Schnittaufstellungen zu Hemden in allen Variationen, Schlafanzüge, Hausmäntel, Unterwäsche, Trainingsanzüge.
Handmade = Handarbeit?
Auch Pariser Ateliers setzen oftmals auf händische Verarbeitung. In London ist sie allerdings selbst bei den renommiertesten Anbietern absolut unüblich, von Hand wird dort nur zu- geschnitten. Dies und die Bedienung der Nähmaschine durch die Näherinnen gilt dann als „handmade“. Wer durch italienische Maßkonfektionshemden auf den Geschmack gekommen ist und nun ein Atelier für die Einzelanfertigung sucht, muss vorher genau nachfragen, wie dort gearbeitet wird. Sonst ist das Maßhemd am Ende fabrikmäßiger verarbeitet als die vorher getragenen Hemden von der Stange oder aus der Maßkonfektion. Auch Probierhemden werden z. B. in England nicht überall für nötig gehalten: Wer sich vorher nach der Arbeitsweise erkundigt, vermeidet Enttäuschungen.