Isabel Vollrath – Skulpturen aus Stoff
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Mit ihren skulpturalen Looks bewegt sich die Berliner Designerin Isabel Vollrath im Spannungsfeld zwischen Mode und Eleganz, Kunst und Poesie.
Ihr Herz verlor Isabel Vollrath 2003 an Venedig, während eines halbjährigen Praktikums beim dort ansässigen Couturier Stefano Nicolao. »Im Arbeitsalltag habe ich die Stadt mit all ihren Facetten lieben gelernt.« So nachhaltig, dass die Lagunenstadt Leitmotiv für spätere Kollektionen werden sollte. Venezianisch inspiriert ist sogar die Schreibweise ihres Labels »I’VR«. Vollraths Diplomkollektion wie auch weitere Linien spiegeln Venedigs Atmosphäre in Formensprache und Mustern wieder, mit ihren mehrlagigen, aufwendig bedruckten Stoffdraperien, Schleifen, Puffärmeln, langen, eng anliegenden Manschetten, voluminösen Röcken, weiten Hosen und hochgeschlossenen Oberteilen.
Studium in Weißensee
Als junge Frau wollte sie Bildhauerin werden, bewunderte Henry Moore und widmete ihm ihre Abiturarbeit mit Erfolg und der Höchstpunktzahl fürs Einser-Abitur. Vor dem geplanten Kunststudium hatte sich Vollrath selbst das Erlernen eines Handwerks verordnet und eine Ausbildung zur Herrenmaßschneiderin in Baden-Baden absolvierte »als solide Basis«, wie sie sagt. »In einem Atelier, wie man sich eine Werkstatt alter Schule in England vorstellt: Papierschnitte an der Wand, Stoffballen übereinander gestapelt, große Schneiderscheren. Mein Chef hatte sich gewünscht, dass ich den Meister mache und das Atelier übernehme, aber trotz meiner Liebe zum Beruf wollte ich hinaus in die Welt und studieren um meinen Kunsthorizont zu erweitern. Als passende Verbindung von Kunst und Mode erschien ihr ein Studium an der Kunsthochschule Berlin Weißensee. Dort machte sich Vollrath mit Grundlagen wie Zeichnen, Malerei, Arbeiten mit Ton oder Siebdruck vertraut.
Das zuvor in der Ausbildung handwerklich Gelernte wandte sie nicht in der klassischen Manier des Tailleurs an, sondern auf kreativer Ebene mit eigener Formensprache. Im Rahmen ihrer Diplomkollektion recherchierte sie zu Venedigs Architektur- und Kunstwelt und ließ diese Atmosphäre in ihre Entwürfe einfließen. »Ca’d’Oro« benannte sie die Kollektion nach dem prächtigen venezianischen Palast. Alle Prints hat sie selbst entwickelt und in aufwendiger Hand- und Siebdrucktechnik mit venezianischen Architekturelementen versehen. Für ihre Symbiose aus textiler und raumbildender Gestaltung erhielt sie die Auszeichnung »sehr gut« – der für sie charakteristische Stil war geboren.
Jobs in der Modebranche
Auf das Diplom folgten ein Stipendienaufenthalt in St. Petersburg und das einjährige Meisterschülerstudium im Fach Mode an der KHB in Weißensee; sie beteiligte sich erfolgreich an Wettbewerben und erhielt weitere Stipendien wie das begehrte Elsa-Neumann-Stipendium des Landes Berlin. Zugleich jobbte Isabel Vollrath beim Modeinstitut Berlin und als Ankleiderin an der Staatsoper, der Komischen Oper und Deutschen Oper. »Als Ankleiderin in den Opernhäusern habe ich gelernt, Kostümwechsel in Sekundenschnelle zu bewältigen und die Roben der Sänger und Tänzer sorgfältig wieder an Ort und Stelle zu bringen. Heute, bei meinen Schauen, bin ich diejenige, die backstage den Überblick über alle Umzüge hat.
Workwear-Stoffe und ein Touch Romantik
2015 mietete die junge Fashion Designerin ihr eigenes Atelier und baute dort zunächst auf ihrer Meisterschülerkollektion auf. Inzwischen präsentiert Isabel Vollrath zweimal jährlich auf der Berliner Fashion Week. »Wenn man halbjährig zeigt, muss man sich in Material und Farbe beschränken«, weiß sie, »ich brauche kein Chichi, arbeite entweder uni mit handfesten Geweben oder ich entwerfe meine Muster selbst. Stoffe sind für mich Bilder, und diese Bilder werden dann zu Kleidern.« Zu ihren bevorzugten Materialien gehören unter anderem Stoffe aus dem Workwearbereich, aber ein wenig romantisch darf es dann auch werden: »Tüll ist ein Element, das ich sehr mag; in jeder meiner Kollektionen taucht ein Tüllrock auf. Spannend finde ich beim übereinander Nähen der einzelnen Lagen das Farbenspiel, das Changierende.«
Von der saisonalen Produktion will Vollrath sich entfernen. »Vom Prinzip her schaffe ich limitierte Editionen, bin von der Arbeitsweise her Couturière und nähe jedes Teil selbst.« Maßanfertigungen, sagt Vollrath, nehme sie gelegentlich an; meist außergewöhnliche Projekte wie für das Künstlerpaar Eva und Adele. Für einen Auftritt in New York hat Vollrath Schnitte von Corsagenkleidern aus ihrer Kollektion adaptiert und den beiden auf den Leib geschneidert.
Atelier im Galerienviertel
Ihre Werkstatt im angesagten ehemaligen Scheunenviertel in Berlin-Mitte wirkt wie Atelier, Showroom und Galerie; gleich im Eingangsbereich erwartet Besucher eine Installation aus Ballettschuhen. Ein Kunstsammlerpaar war es auch, das, kaum hatte sie sich selbständig gemacht, eine Tasche mit Ballerinaschuhen und gehäkeltem Fahrradschlauch erwarb. Der Antrieb hinter solchen Upcyclingprojekten ist sozialkritisch und umweltpolitisch motiviert. Und weil ihre Mode einen künstlerischen Anspruch erfüllt, werden Isabel Vollraths Arbeiten immer wieder in Ausstellungen wie im Kunst Haus Wien gezeigt, im Münchener BMW-Museum oder jüngst in der Berliner Galerie Michael Schultz unter dem Motto »A Tribute to Renaissance«.
Freies Formenspiel beim Schnitt
Den für sie typischen skulptural-poetischen Look inszeniert Isabel Vollrath schnitttechnisch mittels volumenreicher Interpretationen historischer Elemente, weiter Röcke, hochgeschnittener Kürbishosen, Corsagen oder hochgschlossener Stehkrägen. »Manchmal lege ich meine Schnitte auch neu auf, wodurch ein anderes Kleidungsstück entsteht«, erklärt sie. »In einer Kollektion gibt es eine kurze Faltenpluderhose, wie sie in der Renaissance üblich war. Diesen Schnitt habe ich gegen den Fadenlauf gelegt und aus der Silhouette des Faltenhosenschnitts einen Faltenärmel entwickelt. Diesen wiederum habe ich dann neu interpretiert, indem ich die Falten nach oben streben ließ.«
»Wie man an meinen Silhouetten sieht, spiele ich gerne mit verschiedenen Volumina, zum Beispiel mit Falten, die sich öffnen und wieder schließen«, so Isabel Vollrath. Statt an der Puppe zu drapieren »arbeite ich oft mit meiner Basis an Schnitten, die ich im Studium entwickelt habe oder gehe ganz frei heran mit Formen wie Rechtecken, Dreiecken und Kreisausschnitten, die ich so zusammenfüge, dass sie im dreidimensionalen Raum und am Körper funktionieren. Das ist ein spannender Prozess für mich. Probemodelle macht sie nicht, sondern näht sofort ins Originalmaterial. Das Risiko bei den oft aufwendig bedruckten Stoffen geht die Modeschöpferin bewusst ein: »Entweder sieht das Ergebnis gut aus oder nicht.«
Bewusste Markenbildung
Ihre Formensprache entwickelt die Designerin konsequent weiter, um sich auf dem hart umkämpften Modemarkt abzuheben. »Ich habe überlegt: Welche Elemente machen mich aus? Das war etwa die Löffel-Flügel-Schale, die mal auf der Schulter auftaucht, mal am Ellenbogen, mal am Knie.« So interpretierte sie zum Beispiel in der Kollektion »Traghetto« mit ihren Ärmeln, Kapuzen, Mantelrevers und Rockabschlüssen die Formen der venezianischen Gondel. »In meiner jüngsten Edition »Caravaggio« habe ich an den Ärmelabschlüssen erstmals das Element Flügel-Löffel-Schale gekürzt. Sie sind dort abgerundet wie Teller«, sagt die Modedesignerin und ergänzt: »Ich bin außerdem ein Schleifenfan; irgendwann wird ein weiteres Element hinzukommen, aber noch reizen mich Variationen mit diesen Formen.«
Zeitlose Kollektionen
»Ein Thema ergibt sich bei mir durch einen persönlichen Bezug«, erklärt Vollrath. Bei der Kollektion »Shakespeare in Love« (SS 2018) war es die Liebe. Sie setzte ihre Emotionen in farbintensiven, mal feminin-romantischen, mal androgynen Silhouetten um. »Von Leidenschaft und Melancholie, Eleganz und Gewitztheit sprechen großzügige Volumina, verspielte Drapierungen, Schärpen, Schleifen und raffinierte Faltungen – in Kombination mit karierten Baumwollstoffen in Scharlachrot, Himmelblau, zartem Grün und Weiß, einem floral bestickten Seidenbrokat, Jeans und Tüll.«
Weil sich Vollraths Arbeiten immer mit jeweils einem bestimmten Thema beschäftigen statt mit Trends, sind ihre Kollektionen klassisch-zeitlos. Für »Poetry of Light« (Frühjahr / SS 2019) verwendete sie ein zweites Mal die kostbaren Textilentwürfe ihrer Diplomkollektion. In mehreren Lagen übereinander verarbeitet, mit Silber- und Goldpigmenten, Fältelungen und Biesen schaffen diese erneut eine Dreidimensionalität, die an Palazzi-Fassaden erinnert.