Verarbeitung von ausgefransten Kanten und Säumen
Entscheidend für ein gutes Design ist die Harmonie zwischen Modell, Material und Technik. Seit Coco Chanel sind Fransen an Nähten, Kanten und Säumen ein optisches Element, das immer wieder neu interpretiert wird. Trotz unterschiedlicher Verkreuzung der Gewebefäden lassen sich viele Materialien in Kett-, Schuss- und Schrägrichtung ausfransen. Bei schrägem Fadenlauf ist es kein Ausfransen im wörtlichen Sinne, sondern nur ein Öffnen des Gewebes. Auch so erhält man Fransen. Verschiedene Ausführungen verdeutlichen diese Möglichkeit. Dieser Beitrag ist ein Ausschnitt aus dem Fachbuch Atelier – Fachwissen aus der Praxis Teil 2.
Zuschnitt
Die gewünschte Fransenlänge, eventuell etwas Spielraum zum Ausgleichen und die nach der vorgesehenen Art der Verarbeitung orientierte Unternaht oder das Unterteil, z.B. bei einem Revers, bestimmen die Nahtzugabe. Der Fadenlauf entspricht der Modellvorgabe.
Verarbeitung
Offene Kanten und Nähte erfordern Präzision bei der Verarbeitung. Sollen Kanten und Nähte ausgefranst werden, gibt es keine Linksnaht (Verbindungsnaht). Die Nahtlinien der einzelnen Schnittteile sind exakt aufeinanderzulegen und zu steppen. Werden an der Kante beide Zugaben ausgefranst, liegen die Teile links auf links. Bei den Nähten liegen die Schnittteile übereinander. Das auszufransende Teil oben. Fransen sollen nach unten, evtl. seitlich angeordnet werden. Ausnahme bildet eine Eckenverarbeitung, z. B. am Revers. Die unten liegende Nahtzugabe vorher versäubern.
Ausgefranste Nahtrundungen
Ob an Jacke, Rock oder Ärmel, eine wellenförmige Aufteilung mit Fransenverarbeitung sieht sehr dekorativ aus. Beim Zuschnitt werden, je nach Material, an der übergreifenden Nahtlinie eines Modells ca. 1,5 bis 2 cm Zugabe für die Fransen berechnet. Dickere Gewebefäden können auch länger sein. Ist für die Formbeständigkeit eine Einlage erforderlich, darf sie nur bis zur Nahtlinie reichen. Eine Fixiereinlage bietet sich an.
Die darunterliegende Nahtzugabe richtet sich nach der vorgesehenen Abstepplinie und erhält eine Breite von 1,2 bis 1,5 cm. Die markierten Nahtlinien der einzelnen Teile werden von oben nach unten liegend aufeinander gesteppt. Kurze Stiche, etwa 2,5 bis 3 mm und eine exakte Fadenspannung dienen der Haltbarkeit. Größere Sicherheit erhält man durch ein Überkurbeln der Stepplinie mit dünnem Maschinenstickgarn. Stichbreite 2 mm, dicht gestochen. Wird das nicht gewünscht, ist eine zweite Stepplinie erforderlich.
Das Ausfransen ist sehr einfach. Man benützt eine stabile Nadel und beginnt an der Mitte des Außenbogens. Am Innenbogen sind die Querfäden durchzuschneiden. Ein Ausfransen ist sonst nicht möglich. Alle Gewerbefäden bleiben in Fransenrichtung hängen. Ein Längenausgleich wird dadurch er forderlich. Diese Linienführung ist sehr vielfältig verwendbar.
Ausgefranste Nahtspitzen
Werden an einem Modell – ob am Rock mit Hüftpasse oder einer farblich abgestuften Jacke – spitz auslaufende Linien ausgefranst, sind sie ein absoluter Hingucker. Der Zuschnitt des Modells erhält die übliche Nahtzugabe. Für die Fransen sind die vorgesehene Länge und das Material bestimmend. Dünne Gewebefäden kürzer halten, grobe Fäden können länger sein. Grundsätzlich sollen Fransen nach unten liegen. Abweichungen sind möglich. Fadenlauf wie durch das Modell vorgegeben. Muss aus Gründen der Formbeständigkeit fixiert werden, kann dies nur bis zur Nahtlinie geschehen. Auszufransende Zugaben müssen ohne Einlage bleiben. Die unten liegenden Schnittteile vor dem Weiterarbeiten versäubern.
An den markierten Nahtlinien die entsprechenden Teile genau aufeinandersteppen. Kurze Stiche verwenden. Das Fransenteil liegt oben. Sind weitere Stepplinien störend, muss unbedingt mit kleinen, dichten Zick-Zack-Stichen die Linie überkurbelt werden. Man verwendet dünnes, farblich gut abgestimmtes Maschinenstickgarn. Durch eine zweite Stepplinie – Zierlinie – kann die Nahtzugabe auf der linken Seite nicht umkippen und bekommt besseren Halt. Wo immer diese Möglichkeit gegeben ist, sollte sie genützt werden. Aufteilungen, die beim Tragen Spannung bekommen, müssen gut gesichert sein.
Zum Ausfransen verwendet man eine stabile Nadel. Die Gewebefäden kann man nur bis zur jeweiligen Verankerung (Stepplinie/Kurbellinie) lösen. Sie bleiben in Fransenrichtung hängen. Dadurch bekommen die Fransen ein unterschiedliches Volumen und müssen abgeglichen werden.
Ausgefranste Reverskante
Um eine deutliche Fransenlinie zu erhalten, reicht bei grobem Gewebe die einfache Stofflage. Das Modell wird wie schnitttechnisch vorgegeben (Fadenlauf und Nahtzugabe) zugeschnitten. Am Revers 1 cm Naht, am Belagteil die vorgesehene Fransenlänge für die Zugabe wählen. Wird das Modell aus feinerem Gewebe gearbeitet, sind kürzere Fransen geeigneter. Diese Gewebefäden sind zu leicht, um gleichmäßig zu fallen. Eine dem Oberstoff angepasste Einlage erhält an der Kante keine Nahtzugabe. Zur leichteren Weiterverarbeitung eignen sich Fixiereinlagen besonders gut.
Lose Einlagen an der Kante festnähen (pikieren/lisieren). Modellteil wie üblich vor bereiten. Beginnen die Fransen am Reversbruch, wird die restliche Kante mit Linksnaht (Verbindungsnaht) geschlossen. Am Revers wird die Nahtzugabe an der Kante exakt nach innen gebügelt und mit ein fachen Stichen auf der Einlage festgehalten. Die Ecke flach halten. An der Krageneinsatzlinie einschneiden. Für die Sicherheit beim Ausfransen muss an der Nahtlinie des Belages ein etwa 0,5 cm breites Klebebändchen eingebügelt werden, z. B. Nahtband von Vlieseline. Auf eine erforderliche Mehrweite (Rollen des Revers) ist zu achten. Den Belag am Fransenbeginn bzw. am Ende der genähten Kante einschneiden.
Beide Teile links auf links an der markierten Nahtlinie und Bruchkante sehr genau aufeinanderlegen und steppen. Genäht wird auf der Bruchkante mit ca. 1 bis 1,5 mm Kantenabstand. Dabei wird das Bändchen ebenfalls festgehalten. Stabilität und eine sportliche Note erhält das Revers mit einer zweiten Stepplinie. So ist die Kante gut gesichert und man kann mit dem Ausfransen beginnen. Eine feste Nadel erleichtert die Arbeit. Durch das Ausziehen oder Lösen der Gewebefäden entstehen zusätzliche Fransen. Senkrechte Fäden, meistens Kettfäden, liegen zwischen den waagerechten. Sie erhöhen die Fransendichte. Um die leere Fransenecke zu füllen, werden Gewebefäden in eine Handnähnadel eingefädelt und an der Ecke haltbar eingezogen. Nach dem Abgleichen der Fransenlänge ist die Kante fertig.
Doppelte Fransen an Revers und Kante
Wählt man eine geeignete Verarbeitung, sind Fransen aus doppelter Stofflage besonders reizvoll und erhalten die Optik einer Besenborte.
Der Fadenlauf beim Zuschnitt richtet sich nach dem Modell. Das Kleid- Jacken- oder Mantelvorderteil hat in der Regel einen geraden Fadenlauf in der vorderen Mitte. Für die Fransen muss man an den Kanten – Modellteil und Besatz – die vorgesehene Länge zugeben. Bei dünnen Gewebefäden sollen die Fransen nicht zu lang sein (Muster anfertigen). Das Modellteil wird wie üblich mit einer materialgerechten Einlage vorbereitet. Von Vorteil sind fixierbare, formstabilisierende Einlagen. Wird die Kante ausgefranst, endet die Einlage unmittelbar an der Nahtlinie.
Um ausreichend Stabilität zu bekommen, muss auch an der Nahtlinie des Belages ein schmales, ca. 0,5 cm breites Bändchen fixiert werden. Verwendet man ein aufbügelbares Nahtband, z. B. von Vlieseline, kann man gleichzeitig die Reverswölbung einhalten. Die Nahtlinie nicht ausdehnen. Bei der Verarbeitung des Revers ist auf die erforderliche Mehrweite zu achten. Nur so wird ein weiches, rundes Liegen gesichert.
Wird über eine Ecke ausgefranst, muss man an dieser Stelle das Material ausgleichen. Vor dem Verbinden der beiden Kantenteile wird in Fransenlänge ein ca. 2 cm breites (+ 0,5 cm Nahtzugabe) fadengerades Stück Stoff dazwischen gelegt und beim Schließen mit gesteppt.
Am Kragenansatz die Nahtzugabe einschneiden. Modellteil und Belag werden genau in der Nahtlinie links auf links gelegt und zusammengesteppt. Hier ist besondere Sorgfalt notwendig. Die Stepplinie muss 1 bis 1,5 mm neben der Nahtlinie auf der darunterliegenden Einlage angebracht werden. Liegt die Stepplinie zu weit an der Kante, kann sie abrutschen und verliert den Halt. Liegt sie zu weit innen, kann man durch die Fixierung nicht mehr ausfransen. Eine weitere Stepplinie, als Zierstepparbeit angebracht, ist absolut erforderlich, um ausreichend Halt zu bekommen.
Sichere Stabilität erhält man beim Überkurbeln der genau aufeinander gesteppten Kanten. Locker gewebte Stoffe unbedingt mit Zick-Zack-Stichen befestigen. Mit farblich gut passendem Maschinenstickgarn und dichten, 2 bis 2,5 mm breiten Stichen, kann man ein Abrutschen vermeiden. Mit einer großen Nadel wird ausgefranst. Man entfernt die lose liegenden Gewebefäden und legt die an der Kante festgenähten in Fransenrichtung. Dadurch entsteht eine ungleiche Länge und unterschiedliche Fransendichte. Die Länge ausgleichen. Besondere Vorsicht beim Ausfransen an der Ecke ist notwendig.
Ausgefranster Saum
Schwingende Säume sind nicht fadengerade und benötigen einen feinen, aber haltbaren Abschluss, ohne den weichen Fall zu beeinträchtigen. Am einlagigen Gewebe reicht zur Haltbarkeit nur Durchsteppen und Überkurbeln nicht aus. Gute Handwerksausführung ist angesagt.
Man misst von der Schnittkante am Saum die vorgesehene Fransenlänge nach oben und markiert auf der linken Stoffseite die genaue Linie. An diese Markierung wird ein 2 bis 3 mm breites, dünnes oder sehr weiches Bändchen gesteppt und mit Maschinenstickgarn in gut passender Farbe über kurbelt. Das feine Maschinenstickgarn erlaubt eine dichte Sticheinstellung, wodurch man mehr Gewebefäden erfasst, ohne gleichzeitig einen harten Saum zu bekommen. Ein weiteres Ausfransen wird vermieden. Vorsicht: den Saum beim Nähen nicht ausdehnen. Mit Hilfe einer großen Nadel kann der Saum ausgefranst werden. Dabei werden auch Querfäden zu Fransen und ein größeres, jedoch unregelmäßiges Volumen entsteht. Diese Gewebefäden liegen ab der Nählinie parallel zu den bestehenden Fransen und müssen abgeglichen werden.
Eine weitere Möglichkeit Fransen am schwingenden Rocksaum zu sichern, gibt ein Schrägstreifen aus dünnem Batist oder feinem Ponge. Er sollte farblich gut passend sein. Der Schrägstreifen benötigt eine Breite von 2 cm und wird jeweils 0,5 cm zur Mitte gebügelt. Die nach unten vorgesehene Kante wird gedehnt, um ein späteres Ausdehnen zu vermeiden. Ist die Fransenhöhe bestimmt und markiert, wird der Schrägstreifen beidseitig schmalkantig an der Markierung aufgesteppt. Nun kann der Saum ausgefranst werden. Kette und Schuss bilden gleichermaßen Fransen. Eine große Nadel erleichtert die Arbeit. Ausgefranst wird bis zur ersten Stepplinie. Die dadurch entstehende, ungleiche Fransenlänge muss man abgleichen. Ein mit dieser Technik gefertigter Saum ist gut gesichert.
Ausgefranster, gerader Rocksaum
Ein gerader oder in Form (beim Ärmel) geschnittener Besatzstreifen wird mit 1 cm Nahtzugabe an der Fransenkante festgesteppt. Fransenlänge bestimmen. Bei einer fertigen Saumbreite von 4 cm ist ein 5 bis 6 cm breiter Besatzstreifen erforderlich. An der festgelegten Fransenlinie wird der Besatz mit 1 cm Nahtzugabe festgesteppt und nach links exakt umgebügelt. Der so entstandene
Saum wird beliebig breit festgesteppt. Zwei Stepplinien sichern nun den Saum. Die erste Steppnaht ist nach dem Ausfransen nicht mehr erkennbar. Offenkantig oder umgebugt – je nach Stoff – den Saum fertig nähen. Saumkante mit Hilfe einer Nadel ausfransen. Diese Verarbeitung ermöglicht einen haltbaren, sauberen Saumabschluss.